Vergewaltigung Ariane Raichle (44) kämpft für Anonyme Spurensicherung im Kreis Unna

Redaktionsleiter
Ariane Raichle (44) ist Diplom-Pädagogin und arbeitet seit 2018 in der Fachstelle für sexualisierte Gewalt beim Frauenforum im Kreis Unna.
Ariane Raichle (44) ist Diplom-Pädagogin und arbeitet seit 2018 in der Fachstelle für sexualisierte Gewalt beim Frauenforum im Kreis Unna. © Kevin Kohues
Lesezeit

Genau 41 Vergewaltigungen wies die Polizeiliche Kriminalstatistik zuletzt für den Kreis Unna aus (ohne Lünen, Zahlen für das Jahr 2021), die Aufklärungsquote war mit 90 Prozent sehr hoch. Doch die Zahlen zeigen wohl nur den berühmten Gipfel des Eisberges, ist sich Ariane Raichle vom Frauenforum im Kreis Unna sicher.

Aus verschiedenen Studien weiß die 44-Jährige, dass 85 bis 95 Prozent der Fälle gar nicht zur Anzeige gebracht werden. Das Dunkelfeld ist also sehr groß, viele Täter kommen ungestraft davon.

Viele Vergewaltigungen innerhalb von Beziehungen

Wer an Vergewaltigungen denkt, hat vielleicht das Bild vom bösen Mann im Kopf, der hinter einem Gebüsch im Park auf sein nächstes Opfer lauert. Doch Ariane Raichle weiß, dass sich viele Vergewaltigungen innerhalb von Beziehungen ereignen. „Wir erleben es oft, dass Frauen psychisch nicht in der Lage sind, nach solch einer Tat zur Polizei zu gehen“, sagt Raichle.

Die Gründe dafür seien vielfältig. Scham oder Angst hielten viele Frauen ab, manche wollten auch den Zustand ihrer einstmals heilen Partnerschaft wiederherstellen. Mitunter gebe es gemeinsame Kinder oder finanzielle Abhängigkeiten und manche Frauen gäben sich sogar selbst eine Mitschuld an einer Vergewaltigung. „All das können Gründe sein, warum der Gang zur Polizei für sie gar nicht oder erst nach längerer Zeit in Frage kommt“, erklärt Raichle.

Spurensicherung entscheidend für mögliche Verurteilung

Sollte es aber doch irgendwann zu einem Strafverfahren kommen, brauchen die Opfer gerichtsfeste Beweise. Gibt es die nicht, heiße es oft „in dubio pro reo“ – im Zweifel für den Angeklagten. „Mit Blick auf eine mögliche Verurteilung des Täters sind eine zeitnahe gynäkologische Untersuchung sowie Sicherung der Tatspuren nach einem sexuellen Übergriff entscheidend“, erklärt Ariane Raichle. Maximal 72 Stunden sei dafür Zeit. Auch wenn es für die Opfer kaum auszuhalten sei: Um nicht sämtliche Spuren zu verwischen, sollten sie unmittelbar nach der Tat nicht duschen oder sich umziehen, sondern bestenfalls sofort eine Klinik aufsuchen.

Ein standardisiertes medizinisches und beweissicherndes Vorgehen gibt es freilich bislang nur nach einer Anzeige. Das Frauenforum möchte das ändern und im Kreis Unna die sogenannte Anonyme Spurensicherung (ASS) einführen. Dabei handelt es sich um ein Verfahren, das in einigen Modellregionen bereits erprobt wird.

Dieses Spurensicherungsset hat das NRW-Innenministerium speziell für Kliniken entwickelt, die sich an der Anonymen Spurensicherung beteiligen.
Dieses Spurensicherungsset hat das NRW-Innenministerium speziell für Kliniken entwickelt, die sich an der Anonymen Spurensicherung beteiligen. © Kevin Kohues

Ariane Raichle schildert, wie es künftig auch im Kreis Unna ablaufen könnte: Eine Frau sucht nach der Vergewaltigung eine Klinik mit gynäkologischer Ambulanz, zum Beispiel das Christliche Klinikum in Unna (CKU), auf. Eine Ärztin untersucht sie mithilfe eines Spurensicherungssets, das vom NRW-Innenministerium speziell für die ASS entwickelt wurde.

Damit können zum Beispiel Spuren von DNA und Sperma gesichert werden. Außerdem bekommen die Opfer Informationen zur psychosozialen Versorgung in Form eines Flyers mit Hilfsangeboten.

Die gesicherten Beweise werden dann als Asservate chiffriert für zehn Jahre in der Gerichtsmedizin eingelagert, um eine Anzeige mit Aussicht auf Verurteilung noch Jahre nach der Tat zu ermöglichen.

Einführung von ASS hakt an der Finanzierung

Die Kliniken seien für die ASS offen, am CKU gab es im vergangenen Jahr sogar bereits eine Fortbildungsveranstaltung für die Ärztinnen in der Gynäkologie, wie Ariane Raichle berichtet. Wann das Angebot in die Krankenhäuser kommt, sei aber noch unklar, da es noch offene Finanzierungsfragen zwischen den beteiligten Ministerien und den Krankenkassen zu klären gebe. Das Thema habe leider nicht die Lobby, die es verdiene.

Dabei gebe es in NRW durchaus schon ASS-Modellregionen, sagt Raichle und zählt als Beispiele Münster, Bochum und den Hochsauerlandkreis auf. „Uns ist vor allem wichtig, dass Frauen selbstbestimmt entscheiden können, wie sie sich nach einer Vergewaltigung verhalten“, betont Raichle. „Die ASS gibt ihnen alle Möglichkeiten, eine Anzeige zeitlich aufzuschieben und trotzdem wichtiges Beweismaterial zu sichern.“ Daran, dass dies künftig auch im Kreis Unna möglich sein wird, arbeitet Raichle mit ihren Mitstreiterinnen im Arbeitskreis ASS inzwischen schon seit einigen Jahren sehr beharrlich.

Ariane Raichle, Heike Tatsch, Leonie Engelhardt, Saskia Wierdeier, Petra Ostermeier und Ramona Stöpgeshoff (v.l.) gehören dem Arbeitskreis Anonyme Spurensicherung (ASS) im Kreis Unna an.
Ariane Raichle, Heike Tatsch, Leonie Engelhardt, Saskia Wierdeier, Petra Ostermeier und Ramona Stöpgeshoff (v.l.) gehören dem Arbeitskreis Anonyme Spurensicherung (ASS) im Kreis Unna an. © Frauenforum im Kreis Unna
Zum Thema

Für weitergehende Informationen zur Anonymen Spurensicherung im Kreis Unna und Möglichkeiten zur Unterstützung des Vorhabens können sich Interessierte, gerne auch niedergelassene Gynäkologinnen, direkt ans Frauenforum wenden – am besten per E-Mail an a.spurensicherung@frauenforum-unna.de