Was ein Paketbote in diesen Tagen leisten muss
Weihnachtsstress
Klingeln - keiner zu Hause. Klingeln - wieder keiner da. Hinter Tür drei reagiert aufs Klingeln bloß ein bellender Hund. Paket-Zusteller Thorsten Heimann muss den Kunden Nachrichten hinterlassen, wo ihre Pakete geblieben sind. Diese Notizen druckt sein Handscanner - der aber soeben beschlossen hat, zu streiken. "Das ist richtig ärgerlich", grummelt Heimann, der kurz vor Weihnachten, 210 Pakete ausliefern muss. Wir haben ihn auf seiner Tour durch Hörde begleitet.

Ständig unter Strom: An diesem Mittwoch muss Thorsten Heimann 210 Pakete ausliefern. Immerfort hebt, läuft, springt er.
In Hörde am Seeweg, wo Heimanns Route gegen 9.15 Uhr beginnt, öffnet doch noch das Herrchen des Hundes die Tür. Sonst hätte Heimann das Paket wieder mitgenommen. „Wir sind in der Weihnachtszeit, da kann ich nicht bei fünf Nachbarn klingeln, bis jemand das Paket annimmt.“
Heimann, 38 Jahre, sportlicher Typ, läuft zurück zu seinem Transporter, springt hinein, legt sich die nächsten Pakete zurecht und fährt weiter. Er steht unter Strom, ist genervt wegen des Handscanners – sein Grummeln verschwindet trotzdem schnell wieder hinter freundlicher Entspanntheit. Zeit, sich aufzuregen, hat Heimann ohnehin nicht. Er wird später sogar auf seine Mittagspause verzichten und die in Alufolie gewickelten Butterbrote zwischendurch essen.
Das Paketgeschäft boomt
Stationäre Händler machen dieser Tage gute Geschäfte, ja; aber viele Kunden lassen sich auch nur vor Ort beraten und bestellen online. Laut einer Umfrage des Verbands Bitkom will fast jeder Fünfte alle Geschenke per Klick kaufen. Die Amazons und Zalandos haben uns angefixt – mancher bestellt fast täglich online. Weshalb das Paketgeschäft boomt: Der Marktführer Deutsche Post DHL liefert an einem Durchschnittstag bundesweit 3,9 Millionen Pakete aus, im Weihnachtsgeschäft 8 Millionen.
In Dortmund sind es an normalen Tagen 21.000 Pakete, im Weihnachtsgeschäft 40.000. In Dortmund gibt es zwei Zustellbasen, eine an der Kurfürstenstraße; die andere, im Sommer eröffnet, auf der Westfalenhütte. Dort hat Thorsten Heimann an diesem Mittwochmorgen um 8 Uhr sein Fahrzeug ans Tor 113 angedockt, eine Stunde sortiert er Pakete und lädt sie ein. Den großen Karton mit einem Subwoofer kriegt er so gerade noch auf die Lieferfläche geschoben. Er geht an eine Frau, die an einem der Vortage noch gesagt hatte, sie habe jetzt alle Lieferungen beisammen. Nun, wohl doch nochmal was bestellt.
30 Pakete nimmt ein Aushilfsfahrer Heimann ab – „damit ich nicht untergehe“. Der Evinger, noch bei der Deutschen Post AG zu Tarifbedingungen angestellt, war 16 Jahre Briefträger, seit drei Jahren fährt er Pakete aus: „Pakete sind der Zukunftsmarkt.“ Sein Job führte ihn aber auch schon in die Vergangenheit: Einmal öffnete seine alte Realschulklassenlehrerin die Tür, ein anderes Mal sein alter Sportlehrer. Die Route am Phoenix-See in Hörde fährt Heimann erst seit ein paar Monaten, er hat sich trotzdem schon alles eingeprägt.
Post für Weidenfellers
„Wenn da kein Auto steht, ist niemand zu Hause.“ Richtig. „Der Herr ruft gleich vom Balkon, wer da ist.“ Richtig. Und natürlich weiß Heimann auch, in welchem Haus BVB-Spieler wie Roman Weidenfeller wohnen. Für die Weidenfellers hat er heute gleich mehrere Sendungen, die Lisa, Ehefrau des Torhüters, annimmt. Sie bedankt sich freundlich, wünscht dem Zusteller einen schönen Tag – weiter geht‘s. Was die Weidenfellers bestellt haben? Also bitte: Postgeheimnis!
„Die Kunden“, sagt Heimann, „sind alle ganz nett, da ist selten jemand dabei, der meckert.“ Für sie ist Thorsten Heimann der einzig sichtbare Mensch hinter dem Klick am Computer, mit dem sie eine Lieferung auslösen. Der freundliche Mensch, den sie am Phoenix-See alle kennen. „Sie liefern doch auch bei meiner Mutter?“, fragt eine junge Frau, als sie die Annahme ihres Pakets auf Heimanns Handscanner quittiert.
Heimann kennt sie, wusste aber nicht, dass es sich um Mutter und Tochter handelt. Solche Infos, wer zu wem gehört, welche Nachbarn Pakete annehmen, nennt er „goldenes Wissen“. Das nur Stammzusteller haben. Heimann kennt das Geschimpfe über Aushilfsfahrer, die manchmal Adressen nicht direkt finden und so weiter. Er nimmt die Kollegen in Schutz, weist auf Optionen wie Lieferung beim Wunschnachbarn hin. Und er sagt: „Viele Leute können sich die Belastung in diesem Job gar nicht vorstellen.“
Zustellbasis auf der Westfalenhütte
Immer mehr Pakete, immer höhere Arbeitsbelastung, immerfort heben, laufen, Treppen steigen. Heimanns Bezirk hat keine Hochhäuser, er weiß von seiner vorherigen Route aber zu gut, wie es ist, 30 Kilogramm Hundefutter in den fünften Stock zu tragen. Morgens, in der Zustellbasis auf der Westfalenhütte, waren vor allem jüngere Zusteller zu sehen, und Heimann sagt: „Machen wir uns nix vor“ – Kollegen im rentennahen Alter werden bei dieser körperlich fordernden Arbeit Probleme bekommen.
Heimann balanciert wieder einen Stapel Pakete aus seinem Fahrzeug und weiß, dass er heute Probleme bekommen wird, pünktlich (gegen 17 Uhr) Feierabend zu machen. So ist das in der Weihnachtszeit. Immerhin: Überstunden werden ausbezahlt oder mit Freizeit ausgeglichen. Wenn‘s Ende Januar ruhiger wird.