NRW-Landtag beschließt Notlage Weg für Milliarden-Schulden frei

NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU).
NRW-Finanzminister Marcus Optendrenk (CDU). © Rolf Vennenbernd/dpa
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Der nordrhein-westfälische Landtag hat den Weg für eine weitere Verschuldung in Höhe von bis zu fünf Milliarden Euro zur Bewältigung der Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine freigemacht. Die Abgeordneten stellten am Mittwoch mit der Mehrheit der schwarz-grünen Regierungskoalition eine „außergewöhnliche Notsituation“ für NRW fest. Damit wird die Aufnahme von Krediten über die Begrenzung der Schuldenbremse hinaus ermöglicht. Die Regierung schafft dafür ein sogenanntes Sondervermögen, das in einem zweiten Nachtragshaushalt für das ablaufende Jahr 2022 verankert wird.

Der Nachtrag soll kurz vor Weihnachten vom Landtag beschlossen werden. SPD, FDP und AfD stimmten unter anderem wegen Verfassungsbedenken gegen die Feststellung der Notsituation und warfen CDU und Grünen vor, in der Krise völlig überfordert zu sein.

Landesfinanzminister Marcus Optendrenk (CDU) stimmte das Land auf einen Abschwung der Wirtschaft ein. Die Krise mit Energiepreissteigerungen und Inflation treffe NRW mit seiner energieintensiven Industrie härter und stärker als andere Bundesländer. Die Rezession sei „längst angekommen“. Kurzfristige Verbesserungen seien nicht zu sehen. Es sei vielmehr zu erwarten, dass die wirtschaftliche Entwicklung in NRW auch zu Beginn 2023 schwächer als im Bundesschnitt sein werde.

Hilfen für Menschen und Unternehmen

Aus dem Sondervermögen sollen unter anderem Hilfsprogramme für die Menschen in NRW aufgelegt werden, um besonders einkommensschwache Haushalte von steigenden Energiekosten zu entlasten. Ohnehin schon von Armut bedrohte und betroffene Menschen würden von den Preissteigerungen infolge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine besonders hart getroffen, sagte der Grünen-Politiker Simon Rock. „Menschen, die schon vorher jeden Euro zweimal umdrehen mussten, wissen einfach nicht mehr, wie es weitergeht.“

Auch Lücken der Bundeshilfsprogramme, der Strom- und Gaspreisbremse sowie der zusätzliche Härtefallfonds sollen mit den zusätzlichen Milliarden geschlossen werden. Unterstützt werden sollen auch Tafeln und haupt- und ehrenamtliche Vereine. Die Kredite aus dem Sondervermögen sollen innerhalb von 25 Jahren getilgt werden.

Optendrenk prognostizierte auch eine negative Entwicklung der Steuereinnahmen. Daher könnten auch Steuermindereinnahmen aus dem Sondervermögen ausgeglichen werden – so wie es auch bei dem Corona-Rettungsschirm der Fall gewesen sei.

Holpriger Weg zum Sondervermögen

Ursprünglich hatte die Landesregierung die verbliebenen Milliarden aus dem Corona-Rettungsschirm für die Krisen-Bewältigung nutzen wollen. Nach scharfer Kritik des Landesrechnungshofs an der Verfassungsmäßigkeit ließ Schwarz-Grün diesen Plan aber kurzfristig fallen und beschloss kurzfristig das schuldenfinanzierte Sondervermögen.

SPD-Fraktionschef Thomas Kutschaty warf der Regierung vor, ihre Kehrtwende nicht ausreichend begründet zu haben. Die Maßnahme sei nicht verfassungsfest. Schwarz-Grün wolle offenbar „eine Truhe voller Geld im Koalitionskeller lagern“, sagte Kutschaty. „Eine Schatztruhe auf Kredit werden wir nicht akzeptieren.“ Die SPD hat auch eine Verfassungsklage nicht ausgeschlossen und einen Parlamentsvorbehalt bei den Ausgaben aus dem Sondervermögen gefordert.

FDP-Landtagsfraktionschef Henning Höne warf Schwarz-Grün vor, den Ernst der wirtschaftlichen Lage infolge des Ukraine-Kriegs zu lange ignoriert zu haben. „Sie sind hoffnungslos überfordert mit dieser Krise“, sagte er. Bei Wirtschaftsforschungsinstituten, Unternehmen und in der politischen Debatte sei die „schwierige Lage“ lange bekannt gewesen. CDU und Grüne hätten aber seit September keine Möglichkeiten genutzt, Entlastungsimpulse zu setzen oder Krisenvorsorge zu treffen. Nun werde die Landesregierung von der Realität eingeholt und wolle plötzlich binnen zwei Wochen ein Fünf-Milliarden-Sondervermögen auflegen.

Milliarden auch im Corona-Rettungsschirm

Auf Kritik des Landesrechnungshofes war auch gestoßen, dass sich die Regierung in den vergangenen Wochen mehr als vier Milliarden Euro besorgt hatte, obwohl klar war, dass der Corona-Rettungsschirm zum Jahresende ausläuft. Optendrenk versicherte, dass die verbliebenen Mittel für die Zins- und Kredittilgung genutzt würden. Der Schaden für die Steuerzahler sei aber immens, sagte der FDP-Politiker Höne. Die Zinsen für vier Milliarden Euro beliefen sich auf mehrere Millionen Euro pro Monat.

Nach Angaben des Finanzministeriums wird für sämtliche Kreditaufnahmen des Landes im Jahr 2023 eine durchschnittliche Verzinsung von drei bis vier Prozent erwartet. Die durchschnittliche Verzinsung der für den NRW-Rettungsschirm aufgenommenen Kredite liege aktuell bei 0,16 Prozent. Das Ministerium kalkuliert für die kommenden drei Jahre mit jährlichen Zinskosten zwischen 2,8 und 3,3 Milliarden Euro.

Nach Ansicht der AfD ist weiterhin unklar, wofür die Mittel aus dem Sondervermögen verwendet werden. Es bestehe die Gefahr, dass die Maßnahmen verpufften, sagte der AfD-Abgeordnete Hartmut Beucker. „Wir sind der Meinung, dass es keiner neuen Schulden bedarf.“

dpa